Von Reis- bis Maisstroh: Landwirtschaftliche Nebenprodukte gewinnen zunehmend an Bedeutung als wertvolle Rohstoffe für Kohlenstoff, Energie und Chemikalien. Durch ihre Umwandlung in Kraftstoffe, Öle und Polymere zeigt die Branche, dass Abfall nicht das Ende, sondern der Beginn neuer Wertschöpfungskreisläufe ist.
Ernterückstände wertschöpfend nutzen
Zu den häufigsten Nebenprodukten der globalen Landwirtschaft zählen Rückstände wie Reis-, Weizen- und Maisstroh. Allein 144 Millionen Tonnen Weizenstroh fallen jährlich an. Doch vielerorts werden diese wertvollen Rohstoffe verbrannt oder sie verrotten, was die Umwelt verschmutzt und die Treibhausgasemissionen erhöht. Ihre Umwandlung in wertvolle Rohstoffe kann die Umweltbelastung verringern, neue Wertschöpfungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft schaffen und kohlenstoffreiche Materialien für industrielle Anwendungen liefern.
Bisher galt Abfall vor allem als unschönes Ende der linearen Wertschöpfungskette: Man produzierte, verbrauchte und entsorgte. Auch landwirtschaftliche Rückstände bilden dabei keine Ausnahme. Landwirt:innen bleibt oft nichts anderes übrig, als diese zu entsorgen – oft durch großflächiges Verbrennen. Diese Praxis führt wiederum zu Umwelt- und Gesundheitsproblemen.
Doch landwirtschaftliche Rückstände sind nicht automatisch Abfall. Ähnlich wie Erdöl enthalten sie gebundenen Kohlenstoff und somit potenzielle Energie. Im Gegensatz zu Erdöl sind sie jedoch erneuerbar. Die Herausforderung besteht darin, dass landwirtschaftliche Biomasse nur zu bestimmten Jahreszeiten und in unterschiedlicher Qualität und Zusammensetzung verfügbar ist. Um sie wertschöpfend zu nutzen, ist eine sorgfältige Verarbeitung notwendig.
Vom Feld zum Rohstoff
Landwirtschaftliche Rückstände lassen sich in zwei Schritten in werthaltige Produkte verwandeln: 1. Fraktionierung und 2. Depolymerisierung, gefolgt von einem biotechnologischen Verfahren zur Aufwertung.
Die Fraktionierung spaltet das Pflanzenmaterial in seine Hauptbestandteile auf:
- Cellulose und Hemicellulose: zuckerreiche Polymere
- Lignin: der harte, holzige Teil der Pflanze
Die Depolymerisierung zerlegt Cellulose und Hemicellulose in einfache Zucker, die sich vielfältig weiterverarbeiten lassen:
- Aus zuckerreichen Polymeren können beispielsweise mikrobielle Öle für nachhaltige Kraftstoffe oder umweltfreundliche Kunststoffe gewonnen werden.
- Sie eignen sich als Plattformmoleküle – aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Grundchemikalien – für die Raffinerie der Zukunft.
- Lignin kann in aromatische Chemikalien für Kunststoffe, Lösungsmittel und andere Industrieprodukte umgewandelt werden.
Hochwertige landwirtschaftliche Nebenprodukte lassen sich problemlos in bestehenden Raffinerien weiterverarbeiten. Die Industrie kann somit CO2-arme Raffinerieprodukte nutzen und gleichzeitig ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern.
Chancen für Landwirt:innen und Gemeinden
Die Nutzung landwirtschaftlicher Rückstände ist ökologisch nachhaltig und schafft neue Einnahmequellen. Jedes Jahr werden etwa 1,1 Milliarden Tonnen Mais geerntet, wobei geschätzt rund die Hälfte des Gewichts auf das Stroh entfällt. Bis zu 35 % des Maisstrohs bestehen aus Cellulose, mit hohen Anteilen an Hemicellulose und Lignin.
Die Nutzung landwirtschaftlicher Rückstände als Rohstoffe steht darüber hinaus nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Das Hauptprodukt, beispielsweise Mais, wird weiterhin für den menschlichen Verzehr geerntet, während die Nebenprodukte für die Energie- und Chemieproduktion verwendet werden. Beide Nutzungsformen ergänzen einander und machen die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger.
Skalierung: Herausforderungen und Lösungen
Die größte Herausforderung besteht oft darin, eine innovative Technologie im großen Stil zum Einsatz zu bringen. Biomasse ist weltweit verstreut und unterliegt saisonalen Schwankungen. Sie muss gesammelt, transportiert und in stabiler Qualität bereitgestellt werden. Unternehmen, Regierungen und Gemeinden können jedoch gemeinsam intelligente Strategien entwickeln und umsetzen, um diese komplexe Logistik erfolgreich zu bewältigen.
OMV arbeitet an der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Rückstände zu hochwertigen Biochemikalien. Wir wollen das Potenzial dieser Nebenprodukte aufzeigen. Doch um saisonal verfügbare Rohstoffe verlässlich weiterverarbeiten zu können, sind hochmoderne Technologien und besonderes Fachwissen erforderlich. Auf Basis unserer eigenen Forschung und gemeinsam mit unseren Partnern in Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln wir neue Verfahren, um landwirtschaftliche Abfälle wertschöpfend zu nutzen. Gemeinsam mit unseren Partnern erweitern wir Pilotprojekte für industrielle Anwendungen.
Eine zirkuläre Zukunft aufbauen
Der Umgang mit landwirtschaftlichen Rückständen zeigt das Potenzial des zirkulären Denkens: Indem wir Rohstoffe, die früher entsorgt wurden, in Kraftstoffe, Chemikalien und Materialien umwandeln, verringern wir nicht nur unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, sondern reduzieren auch Emissionen und steigern die Wertschöpfung.
Abfall ist der Anfang eines neuen Wertschöpfungskreislaufs. Die Nutzung landwirtschaftlicher Rückstände schafft zusätzliche Einkommensquellen für Landwirt:innen und Gemeinden und macht Lieferketten widerstandsfähiger und zukunftssicherer. Unternehmen können zeigen, dass Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit einander ergänzen und unterstützen und zugleich den Weg in eine zirkuläre Zukunft ebnen.
